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30/3/2020

Perspektive Mensch - Unser kollektiver Fall in die Corona Krise

Das ist ja ein super Start für meinen Podcast und Newsletter. Ich erzähle euch noch von meinem selbstbestimmten Leben und da lebt auf einmal keiner von uns mehr wirklich selbstbestimmt. Es fühlt sich für viele von uns im Moment so an, als ob wir eigentlich keine Wahl hätten. Aufträge für Seminare und Workshops werden reihenweise abgesagt, die Kinder dürfen nicht mehr zur Tagesmutter oder in die Schule und sind jetzt zu Hause. Die Bewegungsfreiheit von uns allen wird per Gesetz deutlich eingeschränkt. Kein Besuch von Freunden, Kunden, Kollegen oder auch die Nachbarskinder können nicht mehr bei uns sein. Sport draußen ist zum Glück noch erlaubt und möglich. Nur funktioniert das jetzt anders als bisher: Mit großer Achtsamkeit versuchen die meisten, den anderen im Park beim Joggen oder Fahrrad Fahren aus dem Weg zu gehen. Fast schon amüsiert stelle ich fest, dass sich die Menschen nicht mehr ins Gesicht sehen, so als ob das den Abstand noch mehr erhöhen könnte. In den letzten Tagen bin ich einigen Nachbarn beim Abendspaziergang begegnet auf diese Weise… Ja und jetzt?

Nur um es vorweg zu sagen: Ich bin genau so ein Mensch wie jeder andere und ja, ich spüre das Eingeschränkt sein und den Krisenmodus ebenfalls. Vielleicht sogar noch auf eine besondere Art und Weise, denn ich bin in diesem Lebensabschnitt in vielen sehr verantwortlichen Rollen unterwegs. Da ist der Familienvater, dem es wichtig ist, dass es allen Familienmitgliedern gut geht. Dem GmbH Gesellschafter ist es wichtig, dass die Organisation überlebt. Dem GmbH Geschäftsführer geht es darum, das operative Überleben der Organisation sicherzustellen, d.h. im Krisenmodus haben wir wie viele andere auch erst einmal die Liquidität der Organisation sichergestellt und sind als Daueraufgabe damit beschäftigt unsere Kultur zu pflegen, denn das ist genau so wichtig beim Überleben. Als Berater und Coach liegen mir meine Klienten am Herzen, die alle so oder so leiden: Alle haben zu viel zu tun, die einen, weil die Organisation über alle Maßen gefordert ist zu leisten was möglich ist, z.B. im Lebensmitteleinzelhandel oder in den Medien. Die anderen haben zu viel zu tun, um alles so still zu legen, damit man es eventuell nach der Krise noch gebrauchen kann wieder andere versuchen sich gerade neu zu erfinden. Dazu gehören viele meiner Kollegen, die einfach mehr im virtuellen Raum arbeiten wollen, statt in realen Räumen. Ja, Anforderungen ohne Ende.

Und trotzdem merke ich: Für diese Verantwortung habe ich mich schon vor langer Zeit entschieden. Natürlich hatte ich bei dieser Entscheidung nicht im Sinn, dass es einmal Corona geben wird. Ich hatte mich also entschieden in einem anderen Kontext. Und vielleicht hätten sich viele von uns nicht für ihre Verantwortung entschieden, wenn sie gewusst hätten, was da auf sie zu kommt. Wir haben es eben alle nicht kommen sehen.

Systemisch gesehen werden unsere ganzen sogenannten Commitments jetzt einem besonderen Stresstest unterzogen. In vielen Organisationen wurde dieser Begriff aus meiner Sicht übrigens inflationär gebraucht, denn jedes Einverständnis wurde gleich zum Commitment. Wie in einer Art Eid sollte sofort alles zu 100% versprochen sein. Der Begriff Commitment hat eine sehr vielschichtige Bedeutung. Er bedeutet: Verpflichtung, aber auch Bindung (gemeint ist eine emotionale Bindung, ein Versprechen, eine Absicht und sogar Hingabe). Und seit wenigen Wochen hat sich unser Kontext, unsere Umgebung radikal geändert.

Und jetzt? Was bleibt von den inneren Commitments? Ich glaube, jeder tut im Moment gut sich seine inneren Versprechen vor Augen zu führen und zu manchen erneut „Ja!“ und zu anderen auch „Nein!“ zu sagen. Was uns jetzt belastet ist nicht nur die Situation an sich, sondern vor allem unser Umgang damit. Wer oder was bedeutet mir nun etwas? Was tritt in den Hintergrund? Das muss und sollte jeder nach eigenen Maßstäben betrachten: Meine Familie? Ja, unbedingt. Mein Unternehmen? Ja! Ich bin in der Rolle Krisenmanager selbst in den ersten beiden Wochen stark gefordert gewesen. Ich bin unendlich dankbar, dass nicht nur ich mich auch für unsere Organisation entschieden habe, sondern meine beiden engsten Kollegen und auch unser Partnerkreis. Auch von den freiberuflichen Beratern kommt Unterstützung. Dieses „Ja" bedeutet aber auch harte Entscheidungen zu treffen. Sich unter diesen Umständen von Menschen aus der Organisation zu verabschieden ist einfach nichts, was erstrebenswert ist. Dafür bin ich ehrlich gesagt nicht Unternehmer geworden. Aber dafür, meinen Klienten zu helfen, die bessere Version ihrer selbst zu werden. Teams handlungs- und leistungsfähig zu machen und Organisationen flexibel und zukunftsorientiert mitzugestalten. Damit das weiterhin möglich ist haben wir uns von vielem getrennt und sind bereit uns auch selbst weiter zu verändern. Ich hoffe allerdings, den Menschen, die die Organisation verlassen, persönlich verbunden zu bleiben.

Und was ist jetzt das „Nein“? Nein zu toxischen Beziehungen in denen das Geben und Nehmen nicht stimmt. Nein zur Zusammenarbeit mit Menschen, die einfach keine Augenhöhe herstellen wollen. Nein zu nicht relevantem. Wir haben auch jetzt die Wahl. Die Schwierigkeit besteht aus meiner Sicht jetzt darin, vieles erneut zu wählen oder abzuwählen. Und es gibt da auch noch eine grundsätzliche Wahl: So blöd das klingt: „Ja“ zu dieser Krise. Und das bedeutet nicht, dass ich sie mag oder mir die Auswirkungen wünsche. Es bedeutet lediglich zu akzeptieren, was sich nicht ändern lässt. Und damit handlungsfähig zu sein. Es bedeutet zu tun was unter diesen Umständen möglich ist. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht aber auch zu sich selbst „ja“ zu sagen. Ich bin ein Mensch wie jeder andere. Ich habe Grenzen, ich habe Bedürfnisse und die sind auch unter diesen Umständen wichtig. Und dann bin ich gespannt, was uns allen miteinander gelingt…
Bleibt gesund und gutes Gelingen…

Euer Markus Schwemmle

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